Kritiken

zu «Wolf unter Wölfen»

Opernwelt , Januar 2020 - Sabine Weber
Auf den Punkt

Eichberg: Wolf unter Wölfen. Theater Koblenz.

Ein großartiger Abend in der Regie von Waltraud Lehner, der alles bietet, was Oper braucht: Die Einheitsbühne mit wandelbaren Wänden verschränken die 18 Episoden, die perfekt auf einen Showdown ums große Glück konzipiert und inszeniert sind. Andeutungen auf das Kommende, auf Vorzeichen des Dritten Reichs, sind allgegenwärtig.

DIE deutsche BÜHNE , 22.11.2019 - Andreas Falentin
Wolf unter Wölfen

„Wolf unter Wölfen“ nach dem 1937 entstandenen zweiteiligen Roman von Hans Fallada dagegen ist ein echtes Lebenszeichen der Gattung Literaturoper, geradezu ein Ausrufezeichen! (...)

Die Erfolgsgeschichte beginnt mit John von Düffels Libretto.(...)

Er hat Falladas 1000 Seiten um den Ex-Soldaten Wolf Pagel und die Ex-Prostituierte Petra Ledig im Berlin des Hyperinflationsjahres 1923 nicht einfach gekürzt oder gestraft, sondern Stränge, Figuren und Motive entnommen und zu einer tragfähigen dramatischen Struktur zusammengeführt. Die gewaltige Konstellation ist zehn Figuren zusammengeschnurrt, aber das Geheimnis, der Weltentwurf bleibt erhalten. Dabei hat von Düffel sogar das Happy End entschärft und deutet stattdessen eine Art Endlosschleife an. Ein Garant für die Stringenz und Wirkungskraft des Librettos ist die Figur des Conférenciers zwischen den Zeiten, der Zeitkolorit zur Verfügung stellt, Schauplätze an- und erspielt und so vor allem hilft, Pseudorealismus zu vermeiden.

Sören Nils Eichberg stattet diese Figur mit einem sprechgesangsnahen Idiom aus, Swing ist drin, ein wenig Musical, ein wenig Weill und Eisler. Aber es lebt aus sich heraus. Wie die ganze Partitur für das kleine Orchester mit den einfach besetzten Bläsern, die wie auf dem Präsentierteller musizieren, obwohl man sie nicht sieht. Schon in der Ouvertüre löst sich avancierte Kammermusik aus Form gebender Cluster-Architektur, entsteht ein Spannungsverhältnis aus Klangstrahl und Klangfläche. Dieses trifft dann auf Paul Linckes Operetten-Idiom, auf Schleichshimmy, Schlager-, Marsch- und Volkston, sprich: auf Berlin im Jahre 1923. Die Übergänge vom Sprechen zum Singen werden immer wieder so kleinteilig wie überzeugend gestaltet. Experimentelle Klangballungen gehen immer wieder in Ohrwürmer über.

Waltraud Lehner, die in Koblenz 2017 Eichbergs so ganz anders geartete Oper „Glare“ mit ihren dominanten Electro-Sounds herausragend inszeniert hat, erzählt die Geschichte ungeheuer spannend, mal als Psychothriller, mal als Historienstück, mal als Sozialdrama. Die Freiheiten, die Text und Musik ihr lassen, nutzt sie, um unaufdringlich Spiel-, Entstehungs- und Jetzt-Zeit ineinander zu blenden und so die Substanz aus Falladas Roman herauszuschälen – die Gier des Einzelnen nach Leben und Sieg. Dazu helfen die phantasievollen Kostüme von Dorothee Brodrück und Eva Martin genauso wie der variable Bühnenraum von Ulrich Frommhold. Dieser orientiert sich an der Fassade des Sanatoriums Hohenlychen, in dem Fallada 1938 die junge Maria Wintersteiner kennen und lieben lernte, in dem ab 1942 Menschenversuche an KZ-Häftlingen durchgeführt wurden – und das heute eine Art touristisches Nebenziel ist. Bei Frommhold besteht diese Fassade aus zwei Teilen, die aus- und gegeneinander gefahren werden können, so dass eine Vielzahl Innen- und Außenräume entstehen, die aber nie realistisch überformt werden. Vielmehr liegt Lehner spürbar daran, die Setzungen in Text und Musik zu schärfen, vor allem: die pointenstarken ironischen Einsprengsel zur Geltung zu bringen. (...)

Waltraud Lehner stellt die hochkonzentriert spielenden, musikalisch so intensiv wie variantenreich gestaltenden Tobias Haaks und Danielle Rohr in einen Schutzraum, führt sie durch das Geschehen hindurch und trotzdem nebenher. Wir sind bei ihnen. Auch wenn sie sich verlieren. Denn das einzige, was hilft, ist Empathie. Behauptet diese großartige, vom außergewöhnlichen Engagement alller Beteiligten getragene Produktion am Theater Koblenz so, dass man sich dem kaum entziehen kann. Häuser, die über ähnliche Ressourcen wie dieses erstaunliche kleine Haus am Mittelrhein verfügen, sollten „Wolf unter Wölfen“ nachspielen. Unbedingt! Zumal das Werk ein Publikum begeistern kann, wie die Uraufführung beweist.   

Rhein-Zeitung , 25.11.2019 - Claus Ambrosius
Fallada zwischen "Cabaret" und "Babylon Berlin"

Wenn ein spannender Romanstoff verfilmt wird, ist der Erwartungsdruck hoch:

Umso höher ist es einzuschätzen, wenn bei einer solchen Transition etwas hervorkommt, was für sich betrachtet und mit den Möglichkeiten der jeweils gewählten Ausdrucksform Großes erreicht. Und diese Hochachtung hat sich die aktuelle Opernuraufführung „Wolf unter Wölfen“ am Theater Koblenz verdient. (...)

Das Ergebnis ist frappierend: hier ist als Opernversion ein starkes Konzentrat von im Roman angelegten Figuren und Konstellationen entstanden. Wie unter dem Vergrößerungsglas brennt sich diese Essenz beim Erleben der neuen Oper ein, wenn die Kernmotive rund um die Inflationswirren der Jahre 1923 und 1924 in Berlin auf der Bühne greifbar und im Graben hörbar werden. (...)

„Wolf unter Wölfen“ versammelt wie ein musikalischer Erinnerungsraum Stile und Rhythmen der 1920er-Jahre, findet immer wieder zu harmonischen Haltegriffen für verunsicherte Ohren zusammen und schüttelt dann doch wieder alles scheinbar Gewohnte kräftig durcheinander.

Søren Nils Eichberg nutzt zwar Anklänge und Zitate – aber eben nicht nachschaffend oder „nur“ collagierend, sondern als Bestandteile einer meisterhaften Komposition, die den Orchestermusikern der Rheinischen Philharmonie unter dem ungemein exakten und differenzierten Dirigat von Karsten Huschke offenbar genauso gut liegt wie den Gesangssolisten und dem intensiv geforderten Chor (Einstudierung: Aki Schmitt).

 

Als wichtige Geburtshelferin der Uraufführung ist die Regisseurin Waltraud Lehner an Bord geholt. Sie animiert, das hat Koblenz wiederholt erlebt, die Sänger zu starken darstellerischen Leitungen. Und wie ihr Konzept die vielen Handlungsorte mit wenigen, geschickt umzubauenden Bühnenelementen (Bühnenbild: Ulrich Frommhold) zusammenführt, Hinterhofgosse und Straßenstrichtristesse ebenso leichthändig bedient wie verblassende Gutshofsburgeoisie, ist schon handwerklich ein Meisterstück, das den Abend temporeich ablaufen lässt. Bei den Kostümen schlagen Dorothee Brodrück und Eva Martin den großen Bogen von historischem Realismus bis zur Jetztzeit – wie auch schon eine Szene der Inszenierung der stets auf Wolfgang wartenden Petra einen Davidstern an den Mantel heftet und auf die Entstehungszeit des Romans und ihre Schrecken hinweist. Denn natürlich lassen die hier Text und Musik gewordenen Untergangszuckungen der Weimarer Republik heute unweigerlich an die Zeit denken, die danach kam und an die heute immer wieder, glücklicherweise meist als warnendes Beispiel, erinnert wird.

 

 

Das Opernmagazin , 25.11.2019 - Detlef Obens
Welt-Uraufführung von "Wolf unter Wölfen" - "Babylon Berlin" auf der Opernbühne

Das Paar Petra und Wolf steht im Mittelpunkt der spannenden Oper nach Hans Falladas 1937 erschienenen Roman „Wolf unter Wölfen“, der von John von Düffel  bereits 2009 zu einem Theaterstück verdichtet wurde. Vor dem Hintergrund des Tanzes auf dem Vulkan im Berlin des Jahres 1923 entfaltet sich ein Panoptikum gescheiterter Existenzen mit einem großartigen homogenen Ensemble, mitreißender Musik und beklemmender Aktualität. Ein Besuch im Theater Koblenz lohnt sich auf jeden Fall. Das Stück hat großes Potential, auch für größere Bühnen. (...)

Regisseurin Waltraud Lehner findet packende Bilder und eine überzeugende Personenführung um die Beziehungen zwischen den Personen abzubilden und die Übergänge ohne Brüche zu gestalten.