Beim Gedenkkonzert im Dachauer Schloss kommen nicht nur die die Folgen der repressiven NS-Kulturpolitik für jüdische Komponisten zur Sprache - die Geschichte wird auch wieder hörbar.
"Geschichte hörbar machen", dies war Titel und Motiv eines Gedenkkonzerts, bei dem Werke jüdischer und verfolgter Komponisten am Donnerstag im Festsaal des Dachauer Schlosses aufgeführt wurden. Das Konzert, das in Zusammenarbeit der Gedenkstätte Dachau mit dem Ben-Haim-Forschungszentrum der Hochschule für Musik und Theater München konzipiert wurde, bildete den Auftakt zu weiteren Veranstaltungen, mit denen an die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau vor 77 Jahren erinnert wird.
Das Programm für das Gedenkkonzert hatte Tobias Reichard, Musikwissenschaftler und Leiter des Ben-Haim-Forschungszentrums an der Musikhochschule München (HMTM), zusammengestellt. Es war ein auf den ersten Bick erstaunlich heterogenes Programm: Neben Komponistennamen wie dem von Paul Ben-Haim (1897-1984), der wesentlich zur Entstehung eines neuen, zwischen westeuropäischer Kunstmusik und orientalischer Folklore angesiedelten Musikstils in Israel beigetragen hat, von Ernest Bloch (1880-1959), dessen Hauptanliegen die Modernisierung jüdischer Musik war, oder von Karl Amadeus Hartmann (1905-1963), der, nicht unmittelbar verfolgt, während der NS-Zeit in die "innere Emigration" gegangen war, stand auch Mozart auf dem Programm.
Musikwissenschaftler und Leiter des Ben-Haim-Forschungszentrums an der Musikhochschule München Tobias Reichard erklärt die Musikauswahl des Abends, die von jüdischen Komponisten bis hin zu Mozart reicht.
Nach einer kurzen Begrüßung durch die Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann erklärte Reichard den Konzertbesuchern die Kriterien der Musikauswahl. So unterschiedlich die ausgesuchten Werke auch seien, sagt Reichard, sie alle seien "auf das Engste mit den Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft für das jüdische Musikleben verbunden" und stünden zumeist auch in einem direkten Bezug zu München und Dachau. So war etwa Emil František Burian (1904-19959), dessen "Echos tschechischer Tänze" im Dachauer Schlosssaal von Pianist Henri Bonamy gespielt wurden, selbst in Dachau inhaftiert, während Viktor Ullmann (1898-1944) seine Klaviersonate Nr. 5 1943 in Theresienstadt für seine Frau geschrieben hatte, mit der er zusammen ein Jahr später in Auschwitz ermordet wurde. Die Verbindung zu München bestand etwa wie bei Hartmann oder Ben-Haim durch den Besuch beider der Musikhochschule.
Der unmittelbare Bezug zur Musikhochschule München war auch durch die Mehrzahl der Mitwirkenden an dem Konzert gegeben: Sowohl Sopranistin Lisa Orthuber wie Manuel Winckhier (Bass) als auch Albert Steinberger an der Violine studieren noch an der HMTM.
Im Mittelpunkt des Konzerts stand die Uraufführung einer Komposition von Danielle Lurie, die ebenfalls in München studiert. Sie hat in ihrer Arbeit mit dem Titel "Hipasti Ben-Adam (Ich habe einen Menschen gesucht)" Texte zweier Überlebender der Shoa vertont: Gedichte des heute noch lebenden gebürtigen Ungarn Yaakov Barzilai und des aus Rumänien stammenden, mittlerweile verstorbenen Dan Pagis sowie Texte von Hannah Senesch, auch sie Ungarin, die mit 23 Jahren ermordet wurde. In ihrer Komposition habe sie die Gefühle verarbeitet, die sie beim Lesen der jeweiligen Dichtungen empfinde, sagt Lurie, wobei ihr sehr wichtig gewesen sei, dass die Texte in Hebräisch, der Sprache, in der sie entstanden sind, gesungen werden. Eine vollständige Fassung von Luries Komposition, bei der Orthuber und Winckhier den Gesangspart zur Begleitung von Henri Bonamy am Klavier übernahmen, wird in Kürze an der HMTM aufgeführt.
Albert Steinberger an der Violine studiert am Ben-Haim-Forschungszentrum der Hochschule für Musik und Theater München.
Nicht nur die Folgen des NS-Regimes für jüdische Musikschaffende erläuterte Tobias Reichard in seiner einführenden Rede: Es sei wichtig auch über die Aufführungspraxis in den Zeiten der NS-Diktatur zu sprechen. Und hier kommt schließlich auch Mozart ins Spiel: In Konzerten etwa des Jüdischen Kulturbunds in München und an elf weiteren Standorten hätten Kompositionen wie die von Mozart in den Jahren von 1933 bis 1938 den Zuhörern "ein Stück Vertrautheit und Kontinuität inmitten sich radikal verändernder Verhältnisse" vermittelt. Die Arbeit des Kulturbunds sei von den Machthabern einesteils mit strengen Auflagen geduldet worden, andernteils habe diese Duldung aber auch ein maximal segregiertes und kontrolliertes jüdisches Musikleben bewirkt, in dem etwa die Aufführung von Werken "deutscher" Komponisten - zu denen nach Österreichs "Anschluss" 1938 auch Mozart zählte - für jüdische Interpreten verboten waren. So konnte Musik für die Betroffenen - etwa in den Lagern, denn auch hier gab es klassische Konzerte - Trost spenden und dazu beitragen, den Überlebenswillen der Inhaftierten zu stärken, während sie gleichzeitig dem Ziel von Demütigung und Folter der Häftlinge diente.
Beides, die Kraft der Musik einerseits und ihr Missbrauch durch perfides Kalkül der Machthaber andererseits, vermittelte sich den Zuhörern im Dachauer Schloss. Wie aktuell aber auch heute die Frage nach Überwindung von Gewalt und der Suche nach Frieden ist, wurde spürbar bei einem Auszug aus Karl Amadeus Hartmanns "Lamento", bei dem Lisa Orthuber das bewegende Plädoyer gegen Krieg und für den Frieden nach einem Text von Andreas Gryphius aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges sang. Der Ruf nach Frieden blieb dennoch nicht das letzte Wort: Das Konzert klang aus mit Ernest Blochs Komposition "Baal Shem" von 1923 für Violine und Klavier, in der die Lebensfreude chassidischer Musik überzeugend spürbar wird. Das Publikum dankte zuletzt mit Standing Ovations.