Kritiken
zu «Kritiken zu The Lighthouse / Vom Fischer un syner Fru»
Nicht ganz geheuer muss es sein an Schottlands Küsten. Jedenfalls hatte die "Hesperus" auf ihrer Routinefahrt zu den Äußeren Hebriden im Winter 1900 mit ungewohnten Nebeln und Strömungen zu kämpfen. Als das Versorgungsschiff die Flannan Isles endlich erreichte, war die dreiköpfige Leuchtturmbesatzung wie von der See verschluckt. Die Umstände ihres Verschwindens blieben rätselhaft...
Eine Geschichte wie geschaffen für Filmemacher, Stückeschreiber und Tondichter. Dass sich der englische Komponist Peter Maxwell Davies des Themas annahm, liegt umso näher, als er sich für Jahrzehnte auf die Orkneys zurückzog. Seit ihrer Uraufführung beim Edinburgh Festival 1980 ist sein Kurzoper "The Lighthouse" ein musiktheatralischer Dauerbrenner.
Die offene Frage, wie sich der ins Psychotische und Parapsychologische ausufernde Einakter zu einem vollen Opernabend aufrunden ließe, beantwortete das Theater Lübeck jetzt passend maritim mit der dramatischen Kantate "Vom Fischer un syner Frau". Sie stammt von dem schweizerischen Komponisten Othmar Schoeck, dessen Kleist-Oper "Penthesilea" hier 2009 Premiere feierte.
Obwohl der Doppelabend konträre Klangwelten vorführt – zersplissene Gesangsdialoge und schriller Seespuk hier, wohlgesetztes Thema mit Variationen dort -, glückt es dem Ausstatter Stefan Heinrichs, beide Werke optisch miteinander zu verbinden. Die Ermittlungen des Seegerichts im Prolog und der tragische Opernakt finden praktisch im gleichen Bühnenbild statt wie das Lehrstück wider die Maßlosigkeit. Statt eines Leuchtturms baute Heinrichs eine vierbeinige Bohrinsel mit Blicklichtern und gelegentlicher Öl-Stichflamme. Während der Pause muss die Plattform explodiert sein. In ihren Trümmern haust nun das zerlumpte Fischerpaar.
Der Moral des Märchens – Hochmut kommt vor dem Fall! – nimmt die Regisseurin die frauenfeindliche Spitze. Die Lübecker Fischersfrau ist eine Spielleiterin: Sie will auf Biegen und Brechen austesten, wie weit sich der Bogen der Begehrlichkeiten spannen lässt – eine Deutung, der sich die Sopranistin Anne Ellersiek mit Wonne verschreibt. Weshalb auch ihr nachgiebiger Bühnengatte Daniel Szeili (Tenor) am Ende besser wegkommt als im Urtext. Kerle wie aus der Seefahrts-Chronik, Gesangsmimen sondergleichen: Patrick Busert (Tenor) als versöhnlicher Leuchtturmwärter Sandy, Steffen Kubach (Bariton) als ruppiger Blazes and Andreas Haller (Bass) als Mahner in Gottes Namen. Eingeholt von den Schatten ihrer Vergangenheit, verirren sie sich so heillos im Nebel zwischen Wahn und Wirklichkeit, dass beim Zuhörer öfter ein Frösteln ankommt. Gastdirigent Ralf Lange navigiert Sänger und Instrumentalisten kurssicher durch die tückische Hebriden See.
Lübecker Theater überzeugt mit spannendem Operneinaktern von Davies und Schoeck.
Lübeck. Ein Abend mit Operneinaktern, noch dazu von neueren Komponisten, hat es beim Publikum nicht leicht. Dieser aber sollte den verdienten Zulauf finden.
"The Lighthouse" (1980) des Briten Peter Maxwell Davies und "Vom Fischer un syner Frau" (1930) des Schweizers Othmar Schoeck sind stark. Sie verbindet das nasse Element. Sie erzählen vom Meer, von seiner Naturgewalt, wie sie sich im Menschen spiegelt.
Sofort springt die kalte Wucht der Szene an: die Regisseurin Waltraud Lehner setzt Davies' Partitur in zwingende Handlungsabläufe um. So ungemein spröde und hart der Komponist die 14 Instrumentalisten im Graben zunächst die Situation kommentieren lässt, so irritiert suchen die drei Seeleute den offenen Käfig ab. Der Ausstatter Stefan Heinrichs hat Davies' Handlung auf eine Bohrinsel verlegt und spart nicht mit Wassereinbruch und steigendem Meeresspiegel. Da tauchen plötzlich Schatten auf, die Spannung steigt, plötzlich wird es melodiös: Die Verschollenen singen ihre Sehnsucht heraus. Das ist ganz nah an der Wirklichkeit, die die komplexe Musik zwischen schneidender Schärfe, verführerischem Wohlklang und diffuser Endzeitstimmung vorantreibt.
Das Märchen siedelt Lehner auf einer Industrie-Brache an: Der Fischer läuft seiner Frau auf der Drehbühne hinterher, unversehens aber werfen sie allen zivilisatorischen Ballast ab. Lehner hält Märchen und Menschen die Treue, führt ein Paar realistisch bis zum heiteren Moment des Erkennens – und nimmt das Publikum mit. Gesangliche Linie und spielerische Präsenz bündeln Daniel Szeili und Anne Ellersiek zu wunderbar lebendigen Figuren. Samt der Präzisionsarbeit von Dirigent und Orchester gelingt der anspruchsvolle Abend vollauf. Das Publikum applaudierte allen Mitwirkenden enthusiastisch und lange.
Die Regisseurin Waltraud Lehner sah das Meer als verbindendes Element, die vergleichbare Situation von Menschen, die zusammen gesperrt werden, obwohl sie miteinander nicht auskommen können.
Der Leuchtturm im "Lighthouse" ist eine Art Bohrinsel oder Ölförder-Plattform, dort entwickelt sich die Handlung um die drei Leuchtturmwärter, die in ihrer Einsamkeit dem Wahnsinn verfallen. Einen großartigen Spielort hat Ausstatter Stefan Heinrichs geschaffen. Ein Gefängnis ohne Mauer, mit auffauchender Gasflamme und einer engen Treppe hinab zum Meer, wo sich das Schicksal der Protagonisten erfüllt – eine unheimliche Welt. Waltraud Lehner gelingt ein geschickter Übergang vom Prolog der Oper, der die seeamtliche Untersuchung darstellt, zur Geschichte des Verschwindens der Leuchtturmwärter. Diese sind gedoppelt von Schattenfiguren, die einerseits den geistigen Verfall, andererseits die Geschichte der Männer kommentieren. Eine klaustrophobische Situation trotz der offenen Wände, die durch die intensive Personenregie der Regisseurin noch mehr an Ausdruckskraft gewinnt: Das Grauen wird greifbar.
Mit den Kammeropern "The Lighthouse" des viel beachteten englischen Komponisten Peter Maxwell Davies und "Vom Fischer un syner Fru" des Schweizers Othmar Schoeck verknüpft die renommierte Regisseurin Waltraud Lehner in ihrer Lübecker Erstlingsarbeit zwei tiefsinnige musikalische Werke, die weit mehr als das Äusserliche des Meeres gemein haben: Deren "Helden" lassen sich vom Bösen verführen und suchen die Erlösung. Im Schlussbild der "Szenischen Kantate" vom "Fischer" macht sie das zusammen mit ihrem Ausstatter Stefan Heinrichs beklemmend deutlich: Da tauchen im Hintergrund der Leuchtturm und seine Wärter des ersten Teils des Abends wieder auf.
Ein überaus eindrucksvoller Abend, der stürmisch gefeiert wird.
Premiere im Doppelpack: The Lighthouse/Vom Fischer un syner Fru.
Zwei Stücke, zwei Sprachen, eine verbindende Umgebung und ein gemeinsames Thema, das sich wie ein meeresblauer Faden durch beide Handlungen zieht. Beim Verlassen des Lübecker Theaters nach der Premiere verblieb noch ein leichter Salzgeschmack auf der Zunge und das nordisch-vertraute Gefühl, nasse Füße beim Zuschauen bekommen zu haben.
Ein derartig technisch-nautisches Bühnenbild bietet sich dem Opernbesucher selten. Bühnenbildner Stefan Heinrichs wählte eine Bohrinsel als Parallele zum Leuchtturm, um eine brisante Umgebung zu schaffen für die Menschen, die unter harten psychologischen Bedingungen arbeiten und der rauhen Natur ausgesetzt sind.
Waltraud Lehner hat mit ihrer Doppelinszenierung einen abwechslungsreichen und spannenden (Krimi-) Abend inmitten einer Meereslandschaft geschaffen. Mit Botschaften, die bis heute nicht an Nachhaltigkeit verloren haben: Die Isolation von der Außenwelt, ob geographisch auf einer Insel oder innerhalb des gemeinsamen Insellebens einer Partnerschaft, und die dabei brodelnden Konflikte in Abgeschiedenheit, ob ungewollt oder gewollt.