Süddeutsche Zeitung , 11. Mai 2023 - Egbert Tholl
Habgier versus Happy End

Waltraud Lehner und Paulina Platzer verbinden in ihrer Inszenierung Puccinis "Gianni Schicchi" und Ligetis "Aventures" in der Reaktorhalle. Ein echter Clou.

"Gianni Schicchi" ist der lustige Teil von Puccinis "Trittico": Das Familienoberhaupt ist gestorben, hat all seinen Besitz ans Kloster vermacht, die Familie würde leer ausgehen. Gäbe es da nicht einen Plan: Gianni Schicchi, von der Familie eigentlich kaum gelitten, soll den Verblichenen spielen, nur für den Moment, in dem der einem Notar ein neues Testament diktiert. Dazu kommt, dass Rinuccio aus dem Familienclan Schicchis Tochter Lauretta liebt, die beiden jungen Leute aber nie zusammenkämen, weil die Tante Zita die Schicchis nicht für satisfaktionsfähig hält. Es sei denn, sie hätten Geld. Puccini erfand für seine Oper ein Hauptthema, das allein schon Grund für eine Aufführung des Ulks ist, weil man es noch Tage später im Kopf hat. Und er schenkte der Lauretta die Arie "O mio babbino caro".

Waltraud Lehner und Paulina Platzer fanden für ihre Inszenierung für die Musikhochschule in der Reaktorhalle aber einen noch viel besseren Grund. Sie verknüpfen den Puccini mit den "Aventures" von György Ligeti, einer nicht sehr langen Idee für einen Minichor in drei Stimmgruppen, der singt, aber nichts sagt, und doch von allem Menschlichen kündet, in einer von Semantik befreiten Sprache, mit spärlicher instrumentaler Begleitung. Gleich zu Beginn melden sich die "Aventures" zu, naja, Wort, als Verweis für ihre Ausbreitung in der Mitte des Abends. Dort werden sie dann zum Ausdruck der Verrücktheit und der Habgier der Figuren, legen deren brodelndes Innenleben hörbar frei, kommentieren es, spinnen es fort. Ein echter Clou.

Die Bühne ein Leichentuch, durch das die hinreichend überkandidelt ausstaffierten Figuren ihre Köpfe stecken, was sehr gut funktioniert. Alle kriegen ja mehr ab als im ursprünglichen Testament, aber das reicht nicht, die Gier bricht durch, und der Maulesel, der tollste der Toskana, den Schicchi für sich im Testament reservierte, wird verwurstet. Laura Richter betört als Lauretta, das Orchesterchen bedrängt, wenn auch farbenreich, die jungen, nicht durchweg energiegeladenen Stimmen ein wenig sehr, das Ende ist ein Happy End - oder vielleicht nicht. Ist die Frage, ob man mehr auf Ligeti hört oder auf Puccini.

Link zur Kritik.

Münchner Merkur , 9. Mai 2023 - Tobias Hell
Testlauf auf großer Bühne

Musiktheater im Reaktor feiert Zehnjähriges mit Puccinis "Gianni Schicchi"

Die Reaktorhalle an der Münchner Luisenstrasse hat sich schon lange als alternative Spielstätte etabliert, in der neugierige Opernfans nicht nur auf interessante Raritäten stoßen, sondern nebenbei auch Nachwuchstalente der Hochschule für Musik und Theater auf ihrem Weg verfolgen können. „Für die Studierenden ist dieser Raum wichtig, weil es ein Ort ist, an dem sie sich ausprobieren und Bühnenerfahrung sammeln dürfen“, sagt Waltraud Lehner, die hier vor zehn Jahren das Projekt „Musiktheater im Reaktor“ auf den Weg gebracht hat.

Wichtig ist der Professorin vor allem die Bandbreite, die sie ihren Schützlingen mitgeben möchte – im Idealfall ein Werk der Alten Musik und unbedingt ein Mozart. Eber ebenso Zeitgenössisches und eine Komposition des populären Kanons, um für den Repertoirebetriebe gerüstet zu sein.

Ein solcher Schlager ist zweifellos Puccinis „Gianni Schicchi“, den Lehner derzeit gemeinsam mit ihrer Ko-Regisseurin Paulina Platzer einstudiert – und das in doppelter Besetzung. Das ist bei diesem komödiantischen Einakter durchaus eine Herausforderung, weil der Fokus vor allem auf den schnell getakteten Ensembles liegt, in denen man die Partner genau im Blick haben muss. „Das bedeutet musikalisch mehr Arbeit, weil es sehr auf die Genauigkeit ankommen“, erzählt Antonia Modes, die Darstellerin der Lauretta, nach der ersten Durchlaufprobe. Die Arbeit im Ensemble empfinden sie und ihre Mitstudierenden aber nicht nur als Herausforderung, sondern ebenso als Bereicherung. „Lied und Konzert machen mir natürlich auch Spaß, aber Oper ist das, wofür mein Herz schlägt. Ich fühle mich total wohl, wenn ich beim Singen spielen darf und immer wieder in andere Rollen schlüpfen kann.“

Dazu kommt in dieser Produktion die Kommunikation mit der Kamera, die sich an neuralgischen Punkten ins Geschehen einmischt. Ein Regieeinfall, an dem Linus Mödl, der den Titelhelden singt, großen Gefallen findet. „Mir hilft es sogar, weil man da auf den Proben nicht so ins Leere hinein singt und einen Ansprechpartner hat.“ Für den Bariton ist der Schicchi sein erster Puccini, was er durchaus genießt. „Außerhalb der Hochschule wäre es vielleicht noch zu früh, aber es ist gut, wenn man hier quasi im geschützten Raum schon mal die Grenzen seiner Stimme austesten kann.“

Ähnlich ausgereizt werden in diese Inszenierung aber auch andere Grenzen. Wird der Einakter doch mit György Ligetis „Aventures“ verwoben, die auf dem Höhepunkt der Verwirrungen für ein skurriles Zwischenspiel sorgen. Ein radikaler Bruch, der von den Studierenden mittlerweile aber als sehr organisch empfunden wird, wie der Bariton Tobias Lusser bestätigt. „Die Lagen sind schon exponierter als bei Puccini, aber Liegti hat sehr detaillierte Angaben gemacht, die einem bei der Interpretation helfen.“ Zustimmung kommt von seiner Kollegin, Laure Cazin, die eigentlich im anderen Team besetzt ist, an diesem Tag aber einspringt und damit die Probe rettet. „Ich muss da auch nicht umschalten, weil der emotionale Übergang relativ fließend ist. Für mich sind es teilweise fast schon kleine Arien, die man sehr lyrisch und sehr in Richtung Belcanto singen muss.“

Davon kann man sich ab morgen selbst ein Bild machen. Premiere um 19.00 Uhr in der Reaktorhalle, Luisenstrasse 37 a.

 

Münchner Merkur