Die Studenten der Musikhochschule treffen nach einer kontaktarmen Vorbereitung für ihre "Zauberflöte" in der Reaktorhalle zusammen. Zwei Besetzungen meistern die Herausforderung in zwei Generalproben sehr unterschiedlich
Was für ein Geschenk in diesen opernlosen Zeiten: Exakt ein halbes Jahr nachdem man in der Reaktorhalle als letztes Live-Musiktheater für lange Zeit Mozarts "La Finta Giardiniera" auf zwei Abende verteilt genoss, durften wenige Auserwählte nun beide Generalproben von Mozarts letzter Oper "Die Zauberflöte" mit Studenten besuchen. Frisch getestet, mit Maske und Abstand natürlich, war das am selben Ort wieder eine hochkarätige Hochschulproduktion. Die Besetzung der einen Aufführung ist "blau", die andere "rot", das spielt vielleicht auf die Farben der Welt von Königin der Nacht und Sarastro in Kenneth Branaghs Verfilmung "The Magic Flute" an. Komplett unterschiedlich sind beide, einschließlich der Dirigenten Viktor Jugovic und Danyil Ilkiv, wobei die Solisten des einen Teams jeweils den 16-köpfigen Chor der anderen singen. Egal, ob Corona-bedingte Lösung oder nicht: das funktioniert ganz wunderbar.
Es ist eine große Herausforderung, mit Maske zu singen; außer zum zweiten Finale hoch oben von der Beleuchterbrücke, wo in herkömmlichen Opernhäusern der Schnürboden ist. Kein Wunder, dass trotz Co-Dirigent dies nicht ohne leichte Tempo-Verschiebung zum weit entfernten Orchester klappt. Also wird am Ende nachjustiert und von Marcus Bosch, dem musikalischen Coach und künstlerischen Leiter des Hochschulorchesters, auch gleich noch das in leichte Schieflage geratene Verhältnis zwischen den drei Posaunen und dem Chor angepasst. Denn sie sitzen mit ein paar anderen Instrumenten einen Balkon tiefer, während das übrige Orchester unten platziert ist. Weil der Chor gleichermaßen die Sklaven Sarastros wie die Stimmen, die Tamino mit "Zurück" drei Mal den Weg versperren, und das Volk singend verkörpert, macht die Maske auch szenisch Sinn, werden doch alle dadurch abstrahiert und entindividualisiert.
Weil es wie immer keinen Vorhang in der weit aufgerissenen, fast quadratischen Reaktorhalle gibt, ist auch diesmal ein variables Einheitsbühnenbild (Sina Gentsch) notwendig. Zwei Pyramiden, eine weiße wie ein Zelt für die Königin, aus der auch Papageno auftritt, und eine schwarze für Sarastro, die auf der Spitze von oben auf sie herabgesenkt ist, sind die dominierenden, raffiniert beleuchteten Bühnenelemente über einer quadratischen Spielfläche. Rechts und links an der Wand kontrastierend über dem Farbspektrum Ring und Kreis mit floralen Projektionen, inspiriert von Hilma af Klint.
Bei der Nachbesprechung wird von Co-Regisseurin und Dramaturgin Paulina Platzer minutiös Kritik geübt, wer wann wo nicht im Licht, sondern im Schatten der Pyramide stand, ein Anschluss zweier Szenen nicht fließend genug oder ein Detail nicht sichtbar war. Und: "Wenn ihr vor einem Auftritt hinten in der Tür steht, dann sehen euch alle und ihr müsst schon komplett in der Rolle sein", schärft Regisseurin Waltraud Lehner ihren Studenten ein. Manches Detail, das mit Besetzung "blau" zwischenzeitlich verbessert wurde, muss nun auch "rot" umsetzen. Weil in diesem Opernprojekt alle immer entweder Chor oder solo singen, waren glücklicherweise auch immer alle bei den Proben anwesend.
Gespielt wird eine geschickt eingestrichene, modernisierte Dialogfassung, die davon erzählt, dass alle Figuren dieser Oper einsam und allein sind, stets auf der Suche und immer wieder in Abgründe blickend. Dass diese Konzeption bereits vor Corona entworfen wurde, überrascht die Verantwortlichen selbst. Da teilweise die Temperamente und Charaktere der Darsteller sehr unterschiedlich sind, erlebt man trotz ähnlicher szenischer Fassung und fast identischer Kostüme oft ganz andere Figuren: Dann wird der eine Monostatos (Jonas Häusler) zum Sympathieträger und in seiner aussichtslos tapsigen Verliebtheit auch zur tragischen Figur, während der andere (Jonas Salzer) drahtig und mit Brille, scharfer Stimme und scharfkantigen Bewegungen ein gefährlicher, zwielichtiger (Buchhalter-)Typ ist.
Und natürlich funktioniert das Zusammenspiel des "blauen" Tamino (ein feiner lyrischer Tenor mit viriler Tiefe und enormer Bühnenpräsenz: Magnus Dietrich) mit Papageno (Daniel di Prinzio) ganz anders als das andere Paar (Eric Price/Jonas Müller): Hier trifft auf einen eher stoisch und aristokratisch agierenden Prinzen mit gewichtigem Tenor der kontrastreich agiler Vogelfänger von Jonas Müller, der hinterher versichert: "Wir durften immer eigenes einbringen und haben uns nie gegängelt gefühlt." Auch Sarastro, der sein "Isis und Osiris" nach der Pause ganz allein am Flügel improvisierend singt, das Whiskey-Glas immer griffbereit, ist einmal ein eher zwielichtiger, kalter Typ bei Christian Beutel, bei Manuel Winckhler dagegen voll warmer Facetten. Während Anna-Lena Elbert eine fast noch mädchenhafte Königin der Nacht verkörpert, muss man sich nicht nur vor den kristallinen Spitzentönen der isländischen Eis-Königin Brynís Guðjónsdottir und ihren Drei Damen auf dem Hoverboard in Acht nehmen.
Alle acht geplanten Vorstellungen finden statt, damit alle Sängerinnen und Sänger Erfahrung vor Publikum machen können, auch wenn vorerst nur Angehörige der Hochschule dabei sein dürfen. Wie sehr alle danach lechzen, erlebt man im Pausengespräch, wenn erzählt wird, dass man zwar fast durchgängig Präsenzunterricht hatte, aber eben immer nur zu dritt (Pianist, Sänger, Lehrer) und wochenlang mit Maske. Keine Ensembles, kein Gruppenunterricht. Und nun freies Singen in Probe und auf der Bühne: Duett, Terzett, Sextett und sogar Chor! Freilich immer mit dem gebührenden Abstand, der beim Singen, Sprechen oder stummen Agieren variiert. Wenn dann am Ende noch die Applaus-Ordnung geübt wird, dann tönt der Beifall von den weit versprengten Zuhörern auf der Tribüne so laut und begeistert als wäre es eine Hundertschaft.
"Die Zauberflöte" des Opernprojektes der Musikhochschule soll ab 17. Mai, 19 Uhr, dauerhaft auf Youtube zu sehen sein