Kritiken

zu «Der Vogelhändler»

Freie Presse Annaberg , 21. Dezember 2004 - Thomas Schmidt
Die Premierengäste hatten diese Verunstaltung der Zeller-Operette genauso wenig verdient wie die Darsteller. Viele konnten – oder besser wollten – öffentlich nicht bewerten, was sie hinter den Uniformen und angemalten Bärtchen entdeckten. Fast 104 Jahre nach der Uraufführung in Wien leben die Bühnenschaffenden den im Programmheft aufgeschriebenen Satz vor: Kunst kennt keine Grenzen. Die werden sie vom Publikum aufgezeigt bekommen. Es sei denn, sie kriegen noch die Kurve und machen aus dem Stück ein Hörspiel.
Freie Presse Annaberg , 21. Dezember 2004 - Reinhold Lindner
Carl Zellers Operette „Der Vogelhändler“: Wenn da etwas schief gehen soll, dann muss man allerdings selber kräftig Hand anlegen. Und tatsächlich wird das gute alte Stück am Sonntagabend zerbogen, dass es nur so kracht in allen Fugen.
Waltraud Lehner (Inszenierung) und ihre Ausstatter Tilo Steffens (Bühnenbild) und Petra Strass (Kostüme) sowie Christine Liakopoyloy (Choreographie) vergewaltigen den armen Vogelhändler derart mit der Brechstange, dass man sich gar nicht vorstellen kann, was einem da vorgestellt wird.
Baron Weps thront über der Szene, die wie ein bretterverschlagener Gefangenenpferch oder ein Wildgatter oder sonst was aussieht, der thront wie ein geschecktes Ebenbild des berüchtigten Oberbefehlshabers des ersten Irakkrieges.
Wenn man hört und an einzelnen darstellerischen Bemühungen auch sieht, was für ein Potential hier auf dem Opfertisch verstiegener Interpretationsgelüste liegt, kann man auch noch dazu richtig traurig werden.
Man hatte seine Erwartung ja nicht zuletzt deshalb mitgebracht, weil man sich von Waltraud Lehner wiedermal eine gute Inszenierung erhoffte, denn ihr "Zar und Zimmermann" von 2001 bleibt wohl im Annaberger Theatergedächtnis. Nun wird freilich auch der "Vogelhändler" nicht mehr zu verdrängen sein.
Freie Presse Annaberg , 21. Dezember 2004 - Leserbrief von Jens Roscher
Knöpfen wir uns jetzt mal die Kultur vor. Die soll uns gefälligst unterhalten, in eine schöne Welt verzaubern und uns unserer Sorgen entledigen. Auch ein bisschen Schunkeln darf sein. Aber bitte keinen Spiegel vorhalten, da werden wir Erzgebirgler böse. Die Gesellschaft geht den Bach runter, aber unser schönes Theater, das brauchen wir zum Kuscheln, wir haben doch sonst nichts mehr. Es wird zeit, einmal klar und simpel die Aufgaben subventionierter Theater zu definieren. Die Fördermittel fließen keineswegs in diese Häuser, weil sie uns unterhalten sollen. Nein, sie haben einen gesellschaftlichen Auftrag. Und dieser lautet, Indikator für gesellschaftliche Verwerfungen, Probleme zu sein und diese auf der Bühne zu thematisieren. Dabei ist es klar, dass wir zuweilen geschockt sind. Aber nicht über das Theater an sich sollten wir es sein, sondern über uns selbst. Und dann kann/muss unser Denken einsetzen und nicht unser Geifern. ... Von daher liebe Theatermacher: Ich freue mich darauf, dass Sie weiter konsequent ihren gesellschaftlichen Auftrag wahrnehmen. ... Schunkeln kann ich vor dem Fernseher, was ja auch schon schlimm genug ist.
Freie Presse Annaberg , 21. Dezember 2004 - Leserbrief von Barbara Bässler

„Ich hab kein gutes Gefühl“ – wenn ich über die Kritiken und Meinungsäußerungen zur Premiere des „Vogelhändlers“ nachdenke. Sollte es wirklich so sein, dass wir als Erzgebirgler nicht in der Lage sind, uns konstruktiv und aktiv mit Kultur auseinanderzusetzen? Sind wir tatsächlich die verkorksten, engstirnigen „Nussknacker“ die über den eigenen Tellerrand nicht hinausschauen können? ... Bedenklich finde ich es, wenn die Kritik in der Presse vordergründig dazu benutzt wird, persönliche Angriffe und Diffamierungen darzustellen. Die Annaberger Umsetzung des herkömmlichen Stoffes des „Vogelhändlers“ ist nach meinem Ermessen ein gelungener Versuch, sich mit diesem zeitgemäß auseinanderzusetzen.