Süddeutsche Zeitung , 22. Mai 2014 - Egbert Tholl
Flirrendes Amalgam. Nikolaus Brass' "Sommertag" ist echtes Musiktheater

"Sommertag" von Nikolaus Brass funktioniert ausgezeichnet.

Brass will die Musik überhaupt nicht vom Text emanzipieren, alles, was erklingt, ist entweder direkte Vertonung von Fosses Worten oder Kommentar, emotionale Weiterfühung oder Nachhall, eigenständig im Ton, vertraut im rauen Klang des expressionistischen Umgangs mit der Tonalität.

Die Inszenierung vertraut ganz auf die Präsenz der Sänger, so dass die Ausstattung von Katherina Kopp sich auf einen Steg in der Mitte des sonst leeren Raums konzentrieren kann. Publikum, Musiker und Sänger sind in diesem verteilt, man befindet sich im Inneren einer Geschichte, die zwischen Gegenwart und Erinnerung schwankt.

Vergangenheit und Gegenwart werden zu einem flirrenden Amalgam, die beiden Alter der einen Frau treffen unmittelbar aufeinander, eine Freundin kommt hinzu, ein Mann, der sie begehrt. Es ist ein aufregendes Spiel über Sehnsucht und Verlust, eine hochkochende Version des kühlen Fosse-Stücks. (SZ)

KlassikInfo , 12.5.2014 - Robert Jungwirth
Sehnsucht nach Entmaterialisierung

Um Todessehnsucht und Verlusterfahrung geht es in den beiden Opern „Kopernikus“ von Claude Vivier und „Sommertag“ von Nikolaus Brass, die jetzt bei der Münchner Biennale gezeigt wurden

Ein junges Paar zieht von der Stadt aufs Land, an einen Fjord. Das Haus ist schön, die Umgebung nicht minder. Die Idylle scheint perfekt. Und doch kommt Unruhe auf. Irgendetwas stimmt plötzlich nicht mehr zwischen den beiden. Der Mann verbringt die meiste Zeit auf seinem Boot. Gespräche bleiben unbefriedigend, bringen nur noch mehr Ungewißheit. Eines Tages kehrt der Mann nicht mehr nach Hause zurück.  
Was geschehen ist, bleibt in Jon Fosses Theaterstück „Sommertag“ offen. Beging der Mann Selbstmord oder ist er einfach davon gegangen? Und auch Nikolaus Brass‘ gleichnamige Kammeroper liefert selbstverständlich keine Erklärung für das Verschwinden. Denn die Ungewissheit ist das Thema von Fosse und von Brass. Brass füllt die Leerstellen des Textes, die Pausen, das Sinnieren und Grübeln der verlassenen Frau mit Musik auf. Das liegt nahe, und Brass gelingen dafür auch verstörend intensive Klänge. Aber das musikalische Textgeflecht von Fosses Stück, diese suggestive Sprachkomposition wird dadurch zerstört. Der Text spielt kaum mehr eine Rolle bei Brass, er wird auf ein Minimum reduziert und im Grunde ersetzt durch die Musik.

Ist „Sommertag“ also überhaupt eine Oper? Ist es nicht vielmehr eine musikalische Reflexion über ein Theaterstück? Auch das ist legitim und - wie gesagt - in weiten Teilen sehr überzeugend gemacht. So wirkt Brass‘ Kammermusiktheater mehr wie eine Schauspielmusik. Auch, weil den handelnden, bzw. reflektierenden Personen - sie werden übrigens gedoppelt, um sie in verschiedenen Zeitebenen darzustellen – nur ein winziges Orchester aus Einzelstimmen hinzugesellt wird. Jede Person bekommt ihr eigenes Instrument zugeordnet. Klangliche Verdichtungen und Komplexität entstehen so kaum. Vereinzelung und Einsamkeit, die Hauptthemen von Jon Fosses Stück, werden so auch musikalisch erfahrbar. Vor allem in einem minutenlangen schmerzlich-brüchigen Violinsolo, das die Seelenpein der jungen Frau spiegelt. Das ist von großer Eindringlichkeit wie auch die schauspielerischen und gesanglichen Leistung der Sängerinnen und Sänger der Neuen Stuttgarter Vokalsolisten, allen voran Sarah Maria Sun und Troike von der Poel als junge und alte Frau.

Die Regie von Christian Marten-Molnar stützt sich ganz auf die darstellerische Kraft der Akteure, Kulissen gibt es bis auf ein paar Stühle und einen hölzernen Laufsteg keine. Und auch die Projektionen an den Wänden des quadratischen Raums sind eher vernachlässigenswert. Atmosphärisch wird hier nichts kreiert. Die Sänger sind auf sich selbst zurückgeworfen und müssen ihre Geschichte allein durch ihren meist textlosen Gesang erzählen. Was ihnen dabei hilft, ist die freie Anlage der Komposition in sogenannten Time-Brackets, also Zeitrastern innerhalb derer die Sänger den Notentext frei gestalten können und damit im Grunde wie Schauspieler die zeitliche Ausdehnung ihres Parts frei bestimmen. Und natürlich bleiben auch bei Brass noch jede Menge Leerstellen und Ungewissheiten, die der Zuschauer mit eigenen Assoziationen füllen kann. Auch wenn „Sommertag“ von Nikolaus Brass vielleicht keine Oper ist, zieht sie den Zuhörer doch in ihren Bann - und das ist keine geringe Leistung. (KlassikInfo)

nmz , 13.05.2014 - Juan Martin Koch
Jenseits der Worte: Nikolaus Brass’ „Sommertag“ und Claude Viviers „Kopernikus“ bei der Münchner Biennale

Dem nachzuspüren und Ausdruck zu verleihen, was in, aber auch zwischen den gesungenen Worten angelegt ist: Das hat Opernkomponisten seit den Anfängen der Gattung beschäftigt. Mit großer Sorgfalt hat sich nun auch Nikolaus Brass mit seinem späten Opernerstling dieser immer wieder neuen Aufgabe gestellt. Als Grundlage seines im Rahmen der Münchner Biennale uraufgeführten „Kammermusiktheaters“ hatte er das Stück „Sommertag“ des norwegischen Dramatikers Jon Fosse gewählt.

Was Brass an Fosse interessierte, wird schnell klar. Seine schmucklos lapidare, jedoch eigentümlich rhythmisierte Alltagssprache verschweigt mehr als sie ausspricht. Sie lässt Räume für eine Musik offen, die Fragen stellt, kleinste Bewegungen innerhalb der scheinbar erstarrten Kommunikation registriert und diese hörbar macht. Dabei macht sie sich nicht breit, lässt ihrerseits Lücken stehen, die der Zuhörer mit seiner Deutung des Geschehens füllen kann.

Aufgespreizte Zeit

Die Grundkonstellation beschreibt den Zustand eines Verlustes. Durch den Besuch einer Freundin in ihrer Erinnerung angeregt, durchlebt eine ältere Frau das Verschwinden ihres von einem Bootsausflug nicht heimgekehrten Mannes noch einmal. Beide sind auch als jüngere Frauen präsent, vergangene Szenen spielen sich erneut ab, gefiltert durch die Perspektive der Rückschau. Die Zeit spreizt sich auf und mit ihr die Figuren. Den verschwundenen Mann Asle – als einziger kein Namenloser – begleitet nicht nur ein stummer „Anderer“ (also jener, der er im Alter hätte sein können), sondern auch ein rätselhaftes Alter Ego („Der Mann / Die Stimme“).

Beigeordnet sind den fünf Sängern plus Schauspieler, ohne dass sich aber starre Kopplungen ergäben, sechs eigenständige, über weite Strecken ohne Dirigat agierende Instrumentalisten: Klarinette (auch Bassklarinette), Violine, Viola, Kontrabass, Akkordeon, Schlagzeug. Mit ihrer teils sich verändernden Aufstellung tragen sie zur Raumwirkung bei, die maßgeblich vom Agieren der Sänger auf der von den Zuschauerreihen umgebenen Fläche geprägt wird.

Brass’ über weite Strecken tastende, sich zurücknehmende Musik gibt nicht vor, alles über die Menschen zu wissen, die da vielsagend Nichtssagendes austauschen. Während Asle als einziger metrisch gebunden singt, haben die anderen Sänger bei der Interaktion mit den Instrumenten eine größere Flexibilität. An zwei Stellen lockert Brass das Zusammenspiel noch weiter: Innerhalb festgelegter Zeitabschnitte können Sänger und Instrumentalisten ihren Part frei einteilen. Vor allem im ersten der beiden, jeweils etwa achtminütigen Abschnitte stellt sich eine eigentümlich schwebende, zeitlose Atmosphäre ein, während gleichzeitig die eingeblendete Uhr unerbittlich abläuft.

Auch Textzeilen werden ab und zu an die Wände projiziert. Zusammen mit gesprochenen Passagen richten sie den Fokus zurück auf die Worte selbst, die vom Gesang oft in Frage gestellt, in Vokalisen und anderen textlosen Lautbildungen aufgelöst werden. Dass die gesprochenen Einwürfe in ihrer Nüchternheit dann stärker wirken als der kunstvolle, von den Neuen Vocalsolisten Stuttgart (Sarah Maria Sun, Truike van der Poel, Susanne Leitz-Lorey, Martin Nagy, Andreas Fischer) mit faszinierender Selbstverständlichkeit bewältigte Gesang, ist ein paradoxer, von Brass wohl bewusst in Kauf genommener Effekt.

Das Publikum im Schweren Reiter feierte Solisten und Instrumentalisten (neben Gunter Pretzel die großartigen Oliver Klenk, Joe Rappaport, Stephan Lanius, Kai Wangler und Fabian Strauß) genauso einhellig wie den Komponisten und das Produktionsteam.

Gut gealterter „Kopernikus“

Nicht minder enthusiastisch war tags zuvor die Reaktion auf das Geschenk ausgefallen, das die Münchner Hochschule für Musik und Theater der Biennale machte: Den Bogen zur Auftaktproduktion „Vivier“ schlagend, präsentierte sie in der Reaktorhalle mit „Kopernikus“ (1979) Claude Viviers einziges vollendetes Bühnenwerk.

Dieses „Opernritual des Todes“ („opéra-rituel de mort“ lautet Viviers Untertitel) ist in seinem Transzendenzanspruch kaum inszenierbar. Auch Regisseurin Waltraud Lehner braucht eine Weile, bis sich nach aktionistischem Beginn jene Ruhe und Gelassenheit einstellt, in der man sich als Zuschauer auf die spirituelle Reise Agnis und seine Begegnungen mit Kopernikus, Lewis Carroll, Merlin, Mozart und anderen, von Vivier als „mythische Wesen“ gedeuteten Figuren einlassen kann.

Getragen wurde der Abend von einer großartigen Leistung des bis auf eine Ausnahme (Jens Müller) aus Studierenden gebildeten Ensembles: Danae Kontora, Andromahi Raptis, Luise Höcker, Manuel Adt und Alexander Kiechle erfüllten Viviers ganz eigene melodische Sprache mit Leben und waren auch den heiklen Zusammenklängen gut gewachsen. Aus dem Graben agierte hochkompetent das ensemble oktopus der Hochschule unter der Leitung Konstantia Gourzis.

Viviers Fähigkeit, Instrumente solistisch auch in konventioneller Spieltechnik so klingen zu lassen, als hörte man sie zum ersten Mal, machten Sarah Mücke (Violine), Myriam Ströher (Oboe), Markus Rendl, Dora Gergely, Felicia Bulenda (Klarinetten), Yael Gat (Trompete), Michael Bigelmaier (Posaune) und Philipp Sammet (Schlagzeug) auf faszinierende Weise erfahrbar. Claude Viviers Musik ist, so die Erkenntnis des Abends, ausgesprochen gut gealtert. (nmz)

Abendzeitung München , 13.05.2014 - Robert Braunmüller
Uraufführung bei der Münchener Biennale Die Oper "Sommertag" von Nikolaus Brass - Wenn das Schweigen vielsagend tönt: Die Oper „Sommertag“ von Nikolaus Brass im Schwere Reiter

Die dritte Uraufführung klärt die Sicht. Im Schwere Reiter stehen endlich Wesen auf der Bühne, die Menschen ähneln – Figuren mit Abgründen und Widersprüchen, keine Kopfgeburten und Sprechblasenträger, mit denen die Uraufführungen der Biennale für Neues Musiktheater öfter zu nerven pflegen.

„Sommertag“ meidet den Kardinalfehler vieler neuer Bühnenwerke. Die Kammeroper nach einem Stück von Jon Fosse handelt vom vergeblichen Warten einer verlassenen Frau. In einer Rückblende erlebt sie den Schmerz und die Sprachlosigkeit ihrer Beziehung. Es ist die Beschreibung eines existenziellen Zustands – ohne Zuweisung einer Schuld. Das Schweigen öffnet einen Raum für Musik, den Brass mit intensiven Klängen füllt, ohne auf jene platte Eindeutigkeit zu zielen, die in Samy Moussas „Vastation“ und Marko Nikodijevics „Vivier“ für Gebrauchstheatervergnügen ohne jede Nachhaltigkeit sorgt.

Während seine Kollegen ein Kammerorchester mit allerlei Tricks zur symphonischen Normalgröße aufblasen, setzt Brass auf Reduktion: Der Gesang wird meist nur von einem Instrument umspielt und und variiert, die Besetzung beschränkt sich auf Klarinette, Geige, Bratsche, Kontrabass, Akkordeon und Schlagzeug.

Weniger ist mehr

Die Musik des 64-jährigen Einzelgängers ist heftig, fast körperlich und intensiv. Leider fällt die Spannung nach einem zentralen und wohl überlangen Bratschensolo ab. Danach müsste das Stück schneller zum Schluss kommen.

Brass’ Musik hat viele Vorzüge, aber auch einen Nachteil: Sie steht für sich. Die Bühne kann ihr nur wenig hinzufügen. Das scheint der Regisseur Christian Marten-Molnár als Defizit empfunden haben: Er erfand eine dezent angedeutete, aber auch ziemlich überflüssige Vergewaltigung der namenlosen Hauptfigur (Sarah Maria Sun) durch den Mann ihrer Freundin hinzu. Sie erklärt nichts und schmeckt auch unangenehm nach billigem Klischee über Männer.

Die Zuschauer sitzen im Schwere Reiter hart am Geschehen. Die minimalistische Darstellung und der intensive Gesang der Neuen Vocalsolisten Stuttgart wirken daher um so stärker. Dieser Abend bestätigt trotz seiner Überlänge die Erfahrung, dass in der Kunst weniger oft mehr ist – auch im Musiktheater. (AZ)

cult:online , 16.5.2014 - Britta Schönhütl
Münchener Biennale 2014: Claude Viviers „Kopernikus“ und Nikolaus Brass’ „Sommertag“ verbindet der Mut

Zweimal Musiktheater, zweimal eine Reise in den Tod – für die Figuren und vor allem das Publikum

Zwei Inszenierungen, die etliches gemeinsam haben und nicht unterschiedlicher sein könnten: Auf der 14. Münchener Biennale werden Claude Viviers Oper „Kopernikus – opéra-rituel de mort“ und Nikolaus Brass’ Kammermusiktheater „Sommertag“ gezeigt – und lassen das Publikum Himmel und Hölle erfahren.

Dass Claude Vivier als Typ recht spannend war, zeigte Marko Nikodijevi? mit seinem Beitrag zur diesjährigen Biennale. In „Vivier“ wird das Publikum zusammen mit dem Komponisten auf eine Reise in die Vergangenheit geschickt, um die wichtigsten Stationen in Viviers Leben zu besuchen: seine Zeit im Waisenhaus, die Adoption in arme Verhältnisse, die Ausbildung zum Priester, seine Asien-Tour und die sich langsam entwickelnde Liebe zur Musik. Vor seiner Ermordung vollendete Claude Vivier im Jahr 1978 nur eine einzige Oper, die nun im Programm der Biennale Extra läuft: Waltraud Lehner inszeniert Viviers „Kopernikus“ mit Sängern und Musikern der Hochschule für Musik und Theater München. Zusätzlich ist sie als Dramaturgin beim „Sommertag“ tätig – die erste Querverbindung dieser beiden Produktionen, die in ihren Ansätzen so grundverschieden sind.

Denn Viviers „Kopernikus“ setzt auf Zusammenspiel. Die Sängerinnen und Sänger lassen ihre Stimmen mit dem Klang des Orchesters durch die Luft tanzen und erschaffen so eine eigene Welt. Eine Art Glaskugel, die immer wieder kräftig durchgeschüttelt wird und neue Klang-Formationen bildet. Dabei wird eigentlich keine Handlung erzählt, sondern eher eine Szenenabfolge beschrieben, durch die sich als roter Faden – in Claude Viviers Musik und in Waltraud Lehners Inszenierung – die Themen Tod, Spiritualität und Träumen ziehen. Die szenische und die musikalische Ebene funktionieren nicht nur jeweils für sich gesehen, sondern eben auch im Zusammenspiel, was den exzellenten Sängern und dem ensemble oktopus unter der Leitung von Konstantia Gourzi zu verdanken ist. Bis auf einen studieren alle sieben Sänger an der Hochschule für Musik und Theater München, was ihre Leistung noch bemerkenswerter macht. Besonders Danae Kontora und Andromahi Raptis stechen durch ihre Präsenz und Stimme hervor: Egal ob als Affe verkleidet, an einem Seil in der Luft baumelnd oder wie wahnsinnig vor sich hinplappernd – es ist eine Freude, ihnen allen zuzuhören und zuzusehen. Was auch am klugen Bühnenbild von Ulrich Frommhold liegt, der durch kleine Mittel wie metallische Wärmedecken oder Barbie-Püppchen gewaltige Effekte erzielt: Zu Beginn sieht man nur die karge, graue Steinwand, den abgeschabten Boden und darüber verteilt kleine Hügelchen, die golden-metallisch glitzern. Plötzlich kommen von überall her Töne, Summen, seltsame Geräusche – genauer gesagt von den Sängern unter den Wärmedecken, aus denen sie sich dann einer nach dem anderen entpuppen, während der Klangfluss nie abbricht und immer mehr Instrumente hinzu kommen. Da zeigt sich wieder eben jene Fähigkeit zum Zusammenspiel, die Waltraud Lehner mit ihrem „Kopernikus“ beweist: Bühne, Kostüme (Katherina Kopp) und Licht (Johannes Horras) liefern einen Mehrwert zu dem, was auf der musikalischen und szenischen Ebene passiert – ganz im Gegensatz zu Nikolaus Brass’ „Sommertag“. Dessen Ansatz ist vielmehr, die an sich schon sehr rudimentäre Narration durch die szenische Umsetzung zu doppeln und die Leere so noch dröhnender werden zu lassen. „Sommertag“ basiert auf dem gleichnamigen Stück von Jon Fosse, dem norwegischen Autor, der bekannt ist für seine leeren, unvollendet artikulierten Worte und Sätze. Er zeichnet Figuren, die unentwegt aneinander vorbei zu reden scheinen und sich dennoch verstehen, ihre Emotionen durch die banalen Dialoge irgendwie trotzdem vermitteln können. Der Komponist Nikolaus Brass hat das Stück für die Biennale bearbeitet und zusammen mit Waltraud Lehner und Katherina Kopp in ein Kammermusiktheater umgemodelt: mit besonderem Fokus auf Sinnlosigkeit – der Worte und des Konzepts. Unter der Regie von Christian Marten-Molnár sieht das Publikum also fünf Mitglieder der Neuen Vocalsolisten Stuttgart in heimeliger Ikea-Atmosphäre durch die Gegend stottern und fallen, während Sätze wie „Ja so war es“ oder „Aber dir geht es gut“ an die vier Wände rundherum projiziert werden und ein Butoh-Tänzer in der Ecke steht. Die vier Zuschauer-Blöcke sind rautenförmig im Raum angeordnet, sodass hinter und vor den Stuhlreihen mit Surround-Sound gespielt werden kann. Außer einer Rampe, einem Laufsteg-ähnlichen Quader und ein paar Stühlen in der Bühnenmitte – alle im gleichen, hellen Billig-Holz-Look – gibt es nichts zu sehen. In den ersten Reihen ist jeweils ein Platz frei gehalten, auf den sich Truike van der Poel setzt, wenn sie nicht dran ist, weil sie gerade ihrem jüngeren Ich zusieht. Die ältere Frau erinnert sich nämlich gemeinsam mit einer Freundin an den Tag, an dem ihr Mann auf den Fjord hinausfuhr und nie wieder kam: ein Prozess, der auf 100 Minuten gestreckt wird, in denen die Instrumente – bis auf wenige Minuten Ausnahme – einzeln spielen und den Legasthenie-Gesang des Ensembles begleiten. Während ein zwei Minuten langes „Ja“ gesungen wird, ist man dann ganz froh über ein bisschen Instrumentalmusik zwischendurch, die beeindruckend virtuos ist – ohne Mehrwert allerdings. Auch die Videoprojektion von sich drehenden Objekten, grieseligem Schneetreiben oder Wellenbewegungen helfen da nicht, sondern erinnern schmerzhaft an Windows-Bildschirmschoner.

Es wird also weder in „Kopernikus“ noch in „Sommertag“ tatsächlich so etwas wie klassische Handlung erzählt: eine weitere Querverbindung. Beide Werke können eher als Reise in den Tod verstanden werden – auf ihre jeweils eigene Weise. „Kopernikus“ lässt eine imaginäre Welt entstehen, in der Talkshow-Elemente genauso zuhause sind wie Mozart oder Lewis Caroll. Eine Welt, die in sich und eben auch inszeniert noch stimmig ist. „Sommertag“ hingegen lässt die Figuren an ihren eigenen verkrüppelten Worten an der Wand abprallen und in Zeitlupe in einem schwarzen Loch versinken. Der alleinige Unterschied zwischen Ensemble und Publikum ist der, dass die Sänger und Musiker als einzige nicht im Programmheft lesen. Sie singen und spielen, wie sie sollen, kommen gegen das Monster Langeweile aber nicht an.

Dabei verbindet die beiden Inszenierungen der wohl wichtigste Grundsatz im Musiktheater: der Mut. Beide Komponisten setzen auf lautmalerische Elemente, auf Nonsens-Sprache, auf Kommunikation ohne decodierbare Worte. Wenn sich die Frauen im „Sommertag“ den Mund zuhalten und angestrengt summen oder mit den Lippen vibrieren, schauen die Zuschauer auf die Uhr. Wenn aber die Frauen in „Kopernikus“ Indianergeräusche imitieren, indem sie mit der Handfläche auf den Mund klopfen, oder begleitet von Pfeif-Brumm-Geräuschen mit den Ärmchen flattern, dann funktioniert das. Es ist das Gesamtkonzept, das bei Vivier und Lehner aufgeht, und Nikolaus Brass traut sich, etwas Neues auszuprobieren. (cult:online)