Rhein-Zeitung , 15.09.2014 - Claus Ambrosius
"Samson et Dalila" schlau ins Heute gedeutet. Ein echtes Kunststück.
Der Opernfreund , 19.9.2014 - Martin Freitag
Biblisches in täglicher Aktualität

Mit Strauss`"Salome" hatte das Koblenzer Stadttheater die letzte Spielzeit alttestamentarisch beschlossen, mit "Samson et Dalila" ebenso wiedereröffnet. Saint-Saens`Oper ist durch seine bekannten Melodien (Dalila-Arie und Bacchanale) den Hörern durchaus präsent), doch das Werk selbst findet sich nicht häufig auf den Spielplänen, um das ohnehin schmale, französische Repertoire zu bereichern. Die Oper ist durch ihre oratorienhafte Struktur auch keine einfache Aufgabe für die Regie, zudem liegt eine Aktualisierung durch die Zustände im Nahen Osten als Platitude allzusehr auf der Hand. Waltraud Lehner versucht auf der Koblenzer Bühne durchaus nicht, die brennende Situation zu entschärfen, doch entscheidet sie sich gegen eine handelsübliche Militär-Camouflage-Deutung, sondern beläßt die Darsteller in heutiger Kleidung (Kostüme Katharina Knopp), die mal sowohl jüdisch-orthodoxer, als auch muslimisch-traditioneller Kleidung zugeordnet werden könnten. Überhaupt changieren die verfeindeten Volksgruppen untereinader, denn Lehner zeigt lediglich die verfahrene Situation der Feinde, ohne einen moralischen Unterschied zwischen ihnen zu machen. Ulrich Frommholds Bühnenbild schuldet in seiner Transparenz auch der Entscheidung Zoll, das Orchester auf die Hinterbühne zu stellen, so werden Überblendungen von Bildern dazu genutzt, dezent eine Atmosphäre zu verbreiten. Der oratorische Gestus der Musik entspricht der stilisierten Chorführung, wenige Aktionen sorgen für die dramaturgische Motivierung. Die Beziehung der titelgebenden Protagonisten wird mit schlichter Glaubwürdigkeit aufgeladen und auf die vorgezogene Vorderbühne plaziert, der Akzent bleibt bei Musik und Text, was mehr ist, als ich bei anderen durch Überaktion und Geschichtsparallelen aufgeladenen Inszenierungen gesehen habe.

Musikalisch gelingt in Koblenz Beachtliches: Zwar wünschte man sich gerade in ersten Akt stärkere, dramatische Impulse von Joseph Bousso, doch die hintere Platzierung des Orchesters braucht die zelebrierte Sicherheit, sowohl für die Einsätze für Chor und Solisten, als auch für eine ausgewogene Klangdynamik zwischen den Kollektiven, und gerade das gelingt dem Dirigenten ganz ausgezeichnet. Der Klang des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie klingt gerade in den tiefen Stimmen etwas dumpf und dominierend, da wünscht man etwas mehr Mischung gerade von den hellen Streicherstimmen, doch die Spielkultur ist gut. 

Mit Deniz Yilmaz gewann man einen beeindruckenden Tenor für den Samson, der nicht das genuin hochliegende Timbre eines französischen Sängers aufwies, doch mit bronzen baritonaler Lage gefiel, ohne die nötigen Höhenreserven vermissen zu lassen. Monica Mascus ist seit vielen Jahren eine der großen Stützen des Koblenzer Ensembles und fügt mit der Dalila ihren Partien eine neue Trumpfkarte hinzu. Die enormen Höhen der weitausschwingenden Tessitur dieser Rolle gelingen zwar nicht immer ohne Schlacken, doch die sinnliche, gesunde Mittellage und die profunden Tiefen klingen fantastisch. Michael Mrozek gefällt als Oberpriester der Dagon durch männlich markante Baritonkultur. Jongmin Lims Bass als Abimelech ist gesanglicher Luxus. Evgeny Sevastyanov, Junho Lee, Juray Hollý und Christoph Plessers hinterlassen in den kleineren Partien ebenfalls gute Eindrücke. Die Chöre und Extrachöre des Koblenzer Theaters werden den großen Aufgaben in Saint-Saens' Oper unter Ulrich Zippelius Leitung mehr als gerecht. So hat das Koblenzer Haus einen sehr beeindruckenden Saisonstart hingelegt, der vom Publikum mit animierter Emphase aufgenommen wird.

Opernnetz , 14.9.2014 - Ralf Siepmann
Gaza in der Oper oder das robuste Mandat

Samson et Dalila ist kurioserweise das einzige wirklich populär gewordene Werk unter den gut zehn Kompositionen, die Camille Saint-Saëns, der herausragende Organist und Spezialist für das sinfonische Fach, dem Musiktheater auf die Bretter geschrieben hat. Kurios, weil das Heikle der dramaturgischen Grundidee nach dem biblischen Buch der Richter, die Unterdrückung der Israeliten durch die Philister, Kritik und Theaterbesucher seit der Uraufführung im Weimarer Hoftheater 1877 polarisiert. Hätte sich nicht Franz Liszt, künstlerischen Direktor des Hoftheaters, für Saint-Saëns eingesetzt, wer weiß, ob sich das Unikat an der Schnittstelle von Oper und Oratorium, noch tief in Richard Wagners Kompositionsstil verwurzelt, aber bereits hinreißend offen gegenüber den von der Pariser Musikdynastie diktierten formalen Anforderungen der Grand Opéra, überhaupt durchgesetzt hätte.

„Ausgerechnet“, wenn es so simpel aus heutiger Sicht formuliert werden darf, ist Gaza, der Landstrich am Mittelmeer, der Opern-Schauplatz der Knechtschaft der Israeliten. Es ist die neuerliche Konfrontation mit der Geschichte und ihrer Unentrinnbarkeit, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen. Sind es damals, etwa ein Jahrtausend vor Christus, die in Palästina nach der Vertreibung eingewanderten Hebräer, deren Schicksal rührt, empfinden viele heute mit den Palästinensern, die im Gaza-Streifen von Israel festgesetzt werden. In der Koblenzer Produktion gibt es all die über die Jahrhunderte zu beobachtenden Ingredienzen von Barbarei, Verfolgung, Vernichtung: Schreie, Folter, Hinrichtung, Verstörung und Entsetzen. Nur die Werkzeuge, die Todesmaschinen, haben sich geändert, nicht aber der Kreislauf von Tyrannei und Töten. Eine Erkenntnis, die beklommen macht, ratlos. „Wir haben nur unsere Tränen“, singt der Chor der Hebräer. So oder ähnlich wird manche Mutter in den letzten Monaten gefühlt haben, deren Söhne durch israelische Panzergranaten ausgelöscht worden sind.

Saint-Saëns und sein Librettist Ferdinand Lemaire haben die Motivation für den Stoff und den besonderen Reiz des Sujets aus dem Clash of cultur der verfeindeten Völker bezogen. Hier die düstere Welt der Hebräer. Dort die hedonistische der Philister, mit der sinnlichen Dalila als Prototyp der Femme fatale im Zentrum. Die Regisseurin Waltraud Lehner, schon einmal in Koblenz für Die Nase verpflichtet, fährt die Relevanz der kollektiven, auch der ethnisch-religiösen Konstellation bewusst herunter und fokussiert ihre Inszenierung auf die individuelle Dimension. Bei Samson et Dalila, so ihre Deutung, „werden die Konflikte sehr gut heruntergebrochen auf zwischenmenschliche Konflikte“. Sie sehe in der Oper „ein Kammerspiel im gesellschaftlichen Spannungsfeld zweier Völker“.

Adäquat fällt aus, welche Lösungen Ulrich Frommhold für die Bühne und Katherina Kopp für die Kostüme gefunden haben. Die Handelnden bewegen sich weitgehend in einem Alltagsgrau moderner Vorstadt- und Bürowelten. Jegliche Anspielungen auf das Milieu heutiger Dschihadisten – abgesehen von den Bärten der Priester und Alten – werden unterlassen. Im ersten Aufzug kommt dabei ein Panorama wie Schwarz-Weiß-Kino der Gründerjahre des Films heraus. Georg Lendorffs Videosequenzen unter dem Elias-Canetti-Nenner Masse und Macht unterstreichen diese Anmutung effektvoll.

Die Hauptpartien sind ohne Zweifel anspruchsvoll wie strapaziös. Die seine meistert der Tenor Deniz Yilmaz um einige Spuren souveräner als Monica Mascus. Yilmaz agiert zudem, durch seine Statur begünstigt, wie eine Idealbesetzung des hebräischen Heerführers. Seine Stimme hat Wucht und Höhe, provoziert Empathie im Irrtum und Scheitern. Mascus, Prinz Orlowsky in der Koblenzer Fledermaus, stellt eher die erste Soldatin ihres Volkes an der Front dar, weniger die fatale Verführerin. Ihre Stimme hat sich die lodernde Mezzo-Partie ernsthaft erarbeitet. Ihre Zukunft dürfte eher im Wagner-Fach liegen, was mehr ist als eine bloße Perspektive. Nahezu eine „Bank“ ist das Ensemblemitglied Michael Mrosek. Der Bariton ist als Oberpriester des Dagon volltönend und in allen Lagen präsent, was auch das Publikum hörbar honoriert. Jongmin Lim hat das Pech, dass er in der Rolle des Abimelech schon im ersten Akt von Samson erschlagen wird. Bis dahin allerdings ist seine Baritonstimme vernehmlich und wohlgefällig zu hören.

Saint-Saëns hat annähernd zehn Jahre seinem Projekt gewidmet. Stets die für ihn verführerische Option vor Augen, die Stilelemente der Grand Opéra mit denen der orientalischen Musik zu mischen. Joseph Bousso am Pult des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie zelebriert diesen musikalischen meltingpot mit Hingabe. Ein großes Plus der Koblenzer Produktion ist dabei die Platzierung der Musiker auf der Bühne, genauer: in deren Hintergrund. So sind einzelne Klanggruppen so intensiv selten zu hören. Wie Nattern umschmeicheln die Flöten Dalila und Samson vor und bei ihrem famosen Duett Mon coeur s'ouvre à ta voix im zweiten Akt sowie im Bacchanal des Schlussaktes. Furchterregend schön baut sich das Schwarz der Kontrabässe auf. Ist die Oper die Fabrik der großen Gefühle, öffnet sie hier aufs prächtigste eines ihrer Werktore.

Das Publikum verwöhnt am Ende Alle mit anhaltendem Applaus. Verheißungsvoll das Ganze, wie gesagt. Und ein starkes Stück Stadttheater, weil es zu Diskussionen einlädt, zu Debatten und mehr. Denn genau das soll es bewirken, das lebendige Theater einer Stadt.